Siemens streicht 6.900 Jobs

Drastische Einschnitte bei Siemens: Die Probleme in der Kraftwerks- und in der Antriebssparte kosten weltweit fast 7.000 Jobs, mehrere Werke stehen vor der Schließung oder dem Verkauf. | afp

Milliardengewinne und zugleich drastischer Stellenabbau: Der deutschen Industrie-Ikone Siemens steht der wohl härteste Konflikt über Einsparungen seit vielen Jahren ins Haus. „Ein Stellenabbau in dieser Größenordnung ist angesichts der hervorragenden Gesamtsituation des Unternehmens völlig inakzeptabel“, empört sich IG-Metall-Vorstand und Siemens-Aufsichtsrat Jürgen Kerner am Donnerstag nach der Bekanntgabe der Abbaupläne für 6.900 Jobs weltweit in der Kraftwerks- und der Antriebssparte.

Erst in der Vorwoche hatte Konzernchef Joe Kaeser die Jahresbilanz des Dax-Riesen vorgelegt, die noch einmal besser ausfiel als das schon historisch gute Vorjahr, wie der Siemens-Chef selbst anmerkte. Aber gleichzeitig stimmte er auf „schmerzhafte Einschnitte“ im Kraftwerksgeschäft ein. Von deren Ausmaß zeigte sich auch Siemens-Gesamtbetriebsratschefin Birgit Steinborn betroffen: „Die Abbaupläne sind ein Tiefschlag für die Mitarbeiter“, erklärte sie. „Angesichts der erneuten Rekordgewinne, die unsere Kolleginnen und Kollegen erarbeitet haben, ist dies auch schwer nachvollziehbar.“

Vor allem dass Siemens betriebsbedingte Kündigungen zwar möglichst vermeiden will, aber nicht ausschließt, erzürnt die Arbeitnehmervertreter. Sie sehen darin einen Bruch des Pakts zur Standort- und Beschäftigungssicherung. Ihre Befürchtung: Damit könnte sich die Siemens-Führung über kurz oder lang auch den Weg für künftige Abbaumaßnahmen ebnen.

Klar ist aber auch: Die gerade erst begonnene Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie und die anstehenden Betriebsratswahlen in vielen Unternehmen dürften den Streit um Jobs und Werke bei Siemens zusätzlich anheizen. Eine erste Kampflinie hatte IG-Metaller Kerner bereits abgesteckt: Im Falle von Entlassungen erwäge man auch „kreative Wege des Widerstands“ wie die Verweigerung von Mehrarbeit und Sonderschichten.

Mit den Streichplänen stutzt Kaeser derweil zwei Sparten zurecht, die bis heute den industriellen Kern des Elektrokonzerns bilden. Schon zu Zeiten des Firmengründers Werner von Siemens gehörte die Elektrifizierung zu den wichtigsten Geschäftsfeldern. Seither durchlief das Unternehmen eine stetige Transformation mit Zu- und Verkäufen, Börsengängen und Gründungen von Joint Ventures. In Kaesers Amtszeit hat sich dieser Wandel eher noch beschleunigt. Er gab den Siemens-Anteil am Hausgerätehersteller BSH an den Partner Bosch ab, kaufte den US-Kompressorenhersteller Dresser-Rand und den Industriesoftware-Spezialisten Mentor Graphics, brachte das Windturbinengeschäft mit der spanischen Gamesa zusammen und hat für das Zuggeschäft den französischen Konkurrenten Alstom als Partner gefunden. Als nächstes soll das bereits verselbstständigte Medizintechnik-Geschäft von Siemens an die Börse. Warum diese Umtriebigkeit? Kaeser macht keinen Hehl daraus, dass er den breit aufgestellten Mischkonzern nicht mehr zeitgemäß findet. Eine Interview-Aussage des Siemens-Lenkers im Februar dieses Jahres ließ aufhorchen: „Heute sind wir ein einzelner Tanker, wir müssen zu einem koordinierten und leistungsfähigen Flottenverband werden“, erklärte Kaeser damals. In der Bilanz-Pressekonferenz legte er in der vergangenen Woche noch einmal nach: Man habe verstanden, „dass Konglomerate alten Zuschnitts keine Zukunft haben“. Zu unübersichtlich, zu schwerfällig, zu wenig klar im Geschäftsmodell – an der Börse kommen die Dickschiffe nicht mehr gut an, weiß Kaeser.

Zumal es irgendwo auf der Welt immer Gegenwind für eine der vielen Sparten in dem bisher weit verzweigten Konzern gibt – ob durch konjunkturelle Schwankungen, regionale Marktverschiebungen oder regulatorische Eingriffe. Die Kraftwerkssparte selbst ist dafür das beste Beispiel. Auch der Boom der erneuerbaren Energien hatte die Nachfrage nach großen Gasturbinen einbrechen lassen. Preisverfall und Überkapazitäten sind die Folge, die nicht nur Siemens, sondern auch der US-Rivale General Electric zu spüren bekommt. „Es brennt lichterloh auf dem Markt. Wir müssen schnell reagieren“, sagt Personalchefin Janina Kugel. Probleme bereitete auch der Ölpreisverfall, der Dresser-Rand zum teuren Fehlkauf machte.

Noch im laufenden Geschäftsjahr 2017/18 (30. September) will Kaeser eine neue Struktur für das Unternehmen erarbeiten, um Siemens für die Digitalisierung zu rüsten. Für den weiteren Umbau wird er auch die Unterstützung der Beschäftigten benötigen. Doch die könnten nun erst einmal auf die Barrikaden gehen, wie die Gesamtbetriebsratschefin durchblicken lässt: „Standortschließungen und angeblich alternativloser Stellenabbau sind keine Lösung und schon gar keine Basis für Verhandlungen. Das kann nur Widerstand erzeugen.“

Auswirkungen auf die Aktivitäten in Belgien und Luxemburg sollen die Kürzungspläne von Siemens nicht haben. Das teilte ein Sprecher für diesen Bereich am Abend mit. (dpa)