Löw schaltet auf Ernst

Das Kräftemessen mit der Équipe Tricolore ist für Bundestrainer Löw zum Jahresabschluss der nächste willkommene WM-Gradmesser. | dpa

An ihrem Spaßtag rauschten Mats Hummels und die anderen Weltmeister wie James Bond im Schnellboot über die Themse. Doch nach einem kurzen Flug ins verregnete Köln trieb Joachim Löw seiner Mannschaft das Londoner Urlaubsgefühl umgehend wieder aus. Trainingsanzug statt Schwimmweste: Der deutsche Bundestrainer schaltete vor dem Prestigeduell mit Frankreich am Dienstag (20.45 Uhr/ARD) gnadenlos zurück auf Ernst.

„Ich werde testen. Das steht für mich sogar über dem Ergebnis. Ich will sehen, wie einige Spieler sich gegen die Besten beweisen“, betonte Löw vor dem zweiten Spiel der Klassiker-Woche gegen eine „sensationelle, faszinierende Mannschaft“, wie Abwehrchef Hummels schwärmte. Nach dem anfangs guten, später reichlich faden 0:0 in England soll die Neuauflage des EM-Halbfinals (0:2) weitere Erkenntnisse für den WM-Sommer liefern.

Ob beim Sightseeing oder im Flieger Richtung Rheinland am Sonntag: Löw konnte in Ruhe über seine Eindrücke aus Wembley grübeln. Nach einem Spiel, das „niemandem vom Hocker gerissen hat“, wie der 57-Jährige einräumte, waren nicht alle positiv. Löws Urteil: Die Weltmeister haben in einer makellosen, jedoch kaum herausfordernden WM-Qualifikation den Sinn fürs Blitzartige verloren.

„Wir müssen nach Ballgewinn schneller umschalten, mit Dynamik zum Tor. Das haben wir versäumt. Es ist wichtig, dass wir das Richtung WM wieder einschleifen“, forderte Löw. Er knetete dabei seine Hände, die Botschaft war ihm wichtig. „Wir verpassen es, schnell zu spielen, das müssen wir wieder lernen. Gegen solche Gegner muss man überfallartig ausbrechen und dann durchziehen.“ Er kündigte für das längst nicht ausverkaufte Frankreich-Spiel (nur 30.000 verkaufte Karten) und das Trainingslager in Südtirol Ende Mai an, „konsequent“ daran zu arbeiten.

Die Franzosen dürften der härtere Prüfstein werden, obwohl einige Stars wie Ousmane Dembele und Paul Pogba fehlen. Hummels sieht den Gegner in der absoluten Weltspitze – und in manchen Belangen vor der DFB-Auswahl. „Sie haben eine unfassbare Breite bei den jungen Spielern“, sagte er der Bild am Sonntag: „Wir auch. Aber vom Standing her, das die Spieler in jungen Jahren haben, sind die noch mal einen Schritt weiter.“ Somit werde Frankreich „völlig zu Recht“ zu den Titelanwärtern gezählt. „Eine sensationelle Mannschaft und ein Topfavorit“, sagte Hummels. Kurz: Ein würdiger Gegner für einen Weltmeister. „Das sind Spiele von allerhöchster Wichtigkeit“, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel im Sport1-Doppelpass.

Um sie zu gewinnen, sollte das Toreschießen wieder funktionieren. Gelegenheiten hatte es für die seit 20 Spielen ungeschlagene DFB-Auswahl in Wembley genug gegeben. Leroy Sane traf die Querlatte (20.), er war zudem an einer kuriosen Dreifach-Riesenchance beteiligt, bei der auch Timo Werner und Julian Draxler scheiterten (23.).

Nach Werners zweiter Großchance (39.) begann gegen verletzungsgeplagte Engländer die Zeit des Durchbeißens. „Der November ist fast immer der schwierigste Monat. Da gibt es immer das erste Loch, die Plätze werden schwer“, sagte Manager Oliver Bierhoff. Dennoch, betonte der Bundestrainer: „Es war ein klasse Testspiel auf gutem Niveau. Das war das Allerwichtigste.“

Für Dienstag kündigte Löw erneute personelle Wechsel an – er hatte beispielsweise Toni Kroos und Sami Khedira geschont. Jerome Boateng reist wegen muskulärer Probleme vorzeitig nach München zurück. (sid)